Die Schweiz: Eine Technologische Pastorale
Im Jahr 1992 prägte Stanislaus von Moos den Ausdruck «Erschliessungsfieber», um die rasante Entwicklung der Infrastrukturen in der Schweiz Ende des 19. Jahrhunderts zu beschreiben, die nicht nur ein neues Territorium – durch Strom-, Gas- und Wasserversorgung – grundlegend veränderten, sondern auch eine neue ästhetische Vision dieses Territoriums erzeugte (VON MOOS 1992: 91-132). Diese Transformation, die zwar in vielen Bereichen untersucht wurde, hatte jedoch keine Auswirkungen auf die Designdisziplinen und die für die Produktion dieses Territoriums verantwortlichen Fachleute. Ebenso wenig wurde berücksichtigt, wie kulturelle ästhetische Werte mit diesen technologischen Triebkräften interagieren. In der Schweiz wird die Art und Weise, wie Architektur entworfen und beschrieben wird, nach wie vor durch die häufig eingesetzte Gegenüberstellung einer «pastoralen» vorindustriellen oder natürlichen Landschaft gegen eine «technologische» postindustrielle gebaute Umwelt motiviert. Die Schweiz: Eine Technologische Pastorale zielt deshalb darauf ab, zu identifizieren und zu visualisieren, wie die Interaktion zwischen Infrastrukturtechnologien und ästhetischen Werten – seitens der Planer, aber auch der Öffentlichkeit – die Analyse, Gestaltung und Nutzung der gebauten Umwelt beeinflusst.
Im Verstehen, wie technologische Entwicklungen mit den pastoralen Idealen interagiert haben um die Nachkriegsumwelt mit zu produzieren, wird Die Schweiz: Eine Technologische Pastorale interdisziplinäre Perspektiven einsetzen, um einen substantiellen Beitrag zu einem sich wandelnden Feld des architektonischen Designs zu leisten, welches sich inner- und ausserhalb der Schweiz mit dem Territorium zu befassen beginnt. Das Forschungsprojekt wird sich auf Literatur aus den verschiedensten Bereichen zum Thema Infrastruktur stützen, insbesondere auf die Geschichte der schweizerischen Infrastrukturentwicklung, und diese mit empirischen Standortuntersuchungen und Archivrecherchen verbinden. Die Forschung wird in vier Fallstudien gegliedert, die im Rahmen einzelner Doktoratsprojekte durchgeführt werden. Jede Fallstudie befasst sich mit einer Form von Infrastruktur, die das Schweizer Territorium in den letzten 150 Jahren geprägt hat, um zu untersuchen, wie durch die Gestaltung von Informations- (z.B. Bundesverwaltung in Bern), Tourismus- (z.B. Jungfraujoch), Waren- (z.B. Logistik-Landschaft um Härkingen, Neuendorf, Egerkingen, and Oftringen) und Wasserflüssen (z.B. Valsertal) bestimmte hybridisierte Umgebungen aus Gebautem und Ungebautem entstehen. Die Fallstudien werden durch eine Vielzahl von Massstäben analysiert: vom Territorium über einzelne Gebäude bis hin zu den technologischen Apparaten im Innern der Gebäude, die alle, oft unsichtbar, durch die Infrastruktur miteinander verbunden sind. Zusätzlich zu den vier Doktorarbeiten umfasst das Ergebnis weitere Peer-Review Forschungsarbeiten und drei Workshops, die alle den Rahmen für einen daraus resultierenden Projektatlas bilden werden. Dieser Atlas wird eine offen zugängliche und interaktive Plattform und schlussendlich eine gedruckte Publikation bilden, welche Quellenmaterial zusammenfasst, um es unter den Forschern des Teams zu teilen und gleichzeitig diese Daten so zu visualisieren, dass sie für Designer und Wissenschaftler praktisch verfügbar sind.
Die Infrastruktur und die von ihr kanalisierten Personen- und Materialströme sind in vielen Bereichen – von der Architektur und dem Städtebau bis hin zur Technikgeschichte und den Urbanistikstudien (insbesondere Wissenschafts- und Technologiestudien oder Bottom-up-Assemblage-Perspektiven) – untersucht worden. Diese Studie möchte die bestehende Forschung in vier Richtungen erweitern. Erstens ging es den bisherigen Forschern vor allem darum, die Stadt zu beschreiben, und weniger um die Beziehung zwischen Architektur und einem Territorium, das weit über die Stadtgrenze hinausgeht. Darüber hinaus hat sich der grösste Teil der Forschung nicht mit dem Bereich des Designs befasst und war auch nicht in der Lage, die Ergebnisse visuell so zusammenzufassen, dass sie den Praktikern, die mit dem Entwerfen, Bauen und Planen für das bebaute Territorium beauftragt sind, zur Verfügung stehen. Schliesslich ist dieses Projekt die erste vertiefte Studie dieser Art, die sich auf die Schweiz konzentriert. Der metaphorische Titel «Technologische Pastorale» soll somit das zentrale Anliegen der Studie einfangen: die Hypothese, dass aus der Vergangenheit geerbte pastorale Ideale dazu neigen, die aktuelle technologische, urbane Realität zu verdunkeln, wenn man die gestaltete Umwelt in der Schweiz betrachtet.
Ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Institut LUS, Prof. Milica Topalovic.
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I. f. Geschichte/Theorie der Arch.
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Schweiz